Die Erfindung des Internets / Teil 1

Die Erfindung des Internets / Teil 1

Im Reich der Apps und Einhörner ist Rossotti´s eine Rarität. Dieser Biergarten im Herzen des Silicon Valley steht seit 1852 an gleicher Stelle. Er ist nicht störend, er ist nicht deplatziert. Aber seit mehr als 150 Jahren hat er eines immer wieder getan, und das gut: Er hat den Kaliforniern einen guten Ort zum Trinken gegeben.

Im Laufe seines langen Bestehens war das Rossotti’s ein Frontier Saloon, eine Spielhölle für den Goldrausch und ein Treffpunkt der Hells Angels. Heute heißt er Alpin-Inn-Biergarten, und die Kundschaft ist so bunt wie eh und je. Auf der hinteren Terrasse sitzen Radfahrer in Spandex und Biker in Leder. Ein wildhaariger Mann, vielleicht ein Professor, ein Verrückter oder ein CEO kritzelt in ein Notizbuch. Auf dem Parkplatz stehen eine Harley, ein Maserati und ein Pferd.

Es scheint kein wahrscheinlicher Ort für einen großen Akt der Innovation zu sein. Aber vor 44 Jahren stellte ein kleines Team von Wissenschaftlern an einem seiner Picknicktische ein Computerterminal auf und führte ein außergewöhnliches Experiment durch. An Plastikbechern mit Bier bewiesen sie, dass eine seltsame Idee namens Internet funktionieren könnte.

Überall und nirgends

Das Internet ist so riesig und formlos, dass es schwer vorstellbar ist, dass es erfunden wurde. Es ist leicht sich vorzustellen, dass Thomas Edison die Glühbirne erfunden hat, denn eine Glühbirne ist leicht zu visualisieren. Man kann sie in der Hand halten und sie von allen Seiten betrachten.

Das Internet ist das Gegenteil. Es ist überall, aber wir sehen es nur flüchtig. Das Internet ist wie der heilige Geist: Es macht sich uns kenntlich, indem es von den Pixeln auf unseren Bildschirmen Besitz ergreift, um Seiten und Anwendungen und E-Mails zu manifestieren, aber sein Wesen ist immer woanders.

Diese Eigenschaft des Internets lässt es äußerst komplex erscheinen. Sicherlich muss etwas so Allgegenwärtiges und doch Unsichtbares tiefe technische Raffinesse erfordern, um es zu verstehen. Aber das tut es nicht. Das Internet ist von Grund auf einfach. Und diese Einfachheit ist der Schlüssel zu seinem Erfolg.

Die Menschen, die das Internet erfunden haben, kamen aus der ganzen Welt. Sie arbeiteten an so unterschiedlichen Orten wie dem von der französischen Regierung gesponserten Computernetzwerk Kykladen, Englands National Physical Laboratory, der Universität von Hawaii und Xerox. Aber das Mutterschiff war der üppig finanzierte Forschungszweig des US-Verteidigungsministeriums, die Advanced Research Projects Agency (Arpa) – die später in Defense Advanced Research Projects Agency (Darpa) umbenannt wurde – und ihre vielen Vertragspartner. Ohne Arpa würde es das Internet nicht geben.

Militärische Motivation

Als militärisches Unternehmen hatte Arpa eine spezifisch militärische Motivation für die Schaffung des Internets: Es bot eine Möglichkeit, Computer an die Frontlinien zu bringen. Im Jahr 1969 hatte Arpa ein Computernetzwerk namens Arpanet aufgebaut, das Großrechner an Universitäten, Regierungsbehörden und Rüstungsunternehmen im ganzen Land miteinander verband. Arpanet wuchs schnell und umfasste Mitte der 1970er Jahre fast 60 Knotenpunkte.

Doch Arpanet hatte ein Problem: Es war nicht mobil. Die Computer auf Arpanet waren für heutige Verhältnisse gigantisch, und sie kommunizierten über feste Verbindungen. Das mag für Forscher funktionieren, die an einem Terminal in Cambridge oder Menlo Park sitzen konnten – aber für Soldaten, die tief im Feindesland stationiert waren, brachte es wenig. Damit Arpanet den Streitkräften im Feld nützlich sein konnte, musste es überall auf der Welt zugänglich sein.

Stellen Sie sich einen Jeep im Dschungel von Zaire oder eine B-52 Meilen über Nordvietnam vor. Stellen Sie sich diese dann als Knotenpunkte in einem drahtlosen Netzwerk vor, die mit einem anderen, Tausende von Kilometern entfernten Netzwerk leistungsstarker Computer verbunden sind. Dies ist der Traum eines vernetzten Militärs, das Computerleistung nutzt, um die Sowjetunion und ihre Verbündeten zu besiegen. Dies ist der Traum, der das Internet hervorgebracht hat.

Um diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen, mussten zwei Dinge getan werden. Das erste war der Aufbau eines drahtlosen Netzwerks, das Datenpakete zwischen den weit verstreuten Zahnrädern der US-Militärmaschine per Funk oder Satellit übertragen konnte. Das zweite war die Verbindung dieser drahtlosen Netzwerke mit dem drahtgebundenen Netzwerk von Arpanet, so dass Großrechner im Wert von mehreren Millionen Dollar Soldaten im Kampf dienen konnten. “Internetworking” nannten es die Wissenschaftler.

Internetworking

Internetworking ist das Problem, für dessen Lösung das Internet erfunden wurde. Es stellte enorme Herausforderungen dar. Computer dazu zu bringen, miteinander zu reden – Vernetzung – war schon schwer genug. Aber Netzwerke dazu zu bringen, miteinander zu reden – Internetworking – war mit ganz neuen Schwierigkeiten verbunden, weil die Netzwerke fremde und inkompatible Dialekte sprachen. Der Versuch, Daten von einem zum anderen zu übertragen, war wie das Schreiben eines Briefes in Mandarin an jemanden, der nur Ungarisch spricht und hofft, verstanden zu werden. Es hat nicht geklappt.

Als Antwort darauf entwickelten die Architekten des Internets eine Art digitales Esperanto: eine gemeinsame Sprache, die es den Daten ermöglichte, über jedes Netzwerk zu reisen. 1974 veröffentlichten zwei Arpa-Forscher namens Robert Kahn und Vint Cerf einen frühen Bauplan. Auf der Grundlage von Gesprächen, die in der gesamten internationalen Netzwerk-Gemeinschaft stattfanden, entwarfen sie einen Entwurf für “ein einfaches, aber sehr flexibles Protokoll”: ein universelles Regelwerk dafür, wie Computer kommunizieren sollten.

Diese Regeln mussten ein sehr empfindliches Gleichgewicht finden. Einerseits mussten sie streng genug sein, um die zuverlässige Übertragung von Daten zu gewährleisten. Andererseits mussten sie aber auch locker genug sein, um all die verschiedenen Arten der Datenübertragung zu berücksichtigen.

“Es musste zukunftssicher sein”, sagt Cerf. Man konnte das Protokoll nicht für einen Zeitpunkt schreiben, weil es bald veraltet sein würde. Das Militär würde weiter innovieren. Sie würden ständig neue Netzwerke und neue Technologien aufbauen. Das Protokoll musste Schritt halten: Es musste in “einer willkürlich großen Zahl unterschiedlicher und potenziell nicht interoperabler paketvermittelter Netzwerke funktionieren”, sagt Cerf – auch in solchen, die noch nicht erfunden worden waren. Diese Eigenschaft würde das System nicht nur zukunftssicher, sondern potenziell unendlich machen. Wenn die Regeln robust genug wären, könnte das “Ensemble von Netzwerken” unbegrenzt wachsen und alle digitalen Formen in sein ausgedehntes Multithreading-Mesh assimilieren.

Schließlich wurden diese Regeln zur lingua franca des Internets. Doch zunächst mussten sie implementiert, optimiert und getestet werden – immer und immer und immer wieder. Es war nicht unvermeidlich, dass das Internet aufgebaut wurde. Für viele schien es eine lächerliche Idee zu sein, selbst für diejenigen, die es bauten. Das Ausmaß, der Ehrgeiz – das Internet war ein Wolkenkratzer, und niemand hatte je mehr als ein paar Stockwerke hoch gesehen. Sogar mit einem Feuerschlauch aus Militärgeldern des Kalten Krieges dahinter sah das Internet wie eine reine Spekulation aus.

Dann, im Sommer 1976, begann es zu funktionieren.

Die Erfindung des Internets / Teil 2

Foto: geralt / pixabay

April 22, 20201 Comment, Arpa | Erfindung | Internet | Internetworking | Militär

Schreibe einen Kommentar